Ernährungswende & Ess-Kultur – die Rolle von Kulturinstitutionen
Unser Ernährungssystem befeuert die Klimakrise
In Gesprächen über das Gestalten einer nachhaltigen Lebensweise liegt der Fokus meistens auf Mobilität, Energie und Transport. Dabei geht unter, dass die Nutztierhaltung und die Produktion von Tierprodukten in der Landwirtschaft global für mehr Treibhausgasemissionen verantwortlich sind, als der gesamte Transportsektor, also Flugzeuge und Autos vereint1. Hinzu kommt eine lange Liste von weiteren Umweltschäden, welche direkt von der Tierhaltung und der industriellen Fischerei verursacht werden: Artensterben und Biodiversitätskrise, Abholzung des Amazonas, Luft- und Wasserverschmutzung, Wasserknappheit, Überdüngung, Zusammenbruch von Ökosystemen, usw2.
Aktuell werden rund 80% der globalen Landwirtschaftsflächen für Tierprodukte genutzt – als Weideland oder für den Anbau von Futtermitteln –, diese produzieren jedoch weniger als 20% der Kalorien3. Während also mehr als 800 Millionen Menschen auf der Welt hungern und keinen Zugang zu bezahlbaren Lebensmitteln haben, werden jährlich Milliarden Hühner, Schweine, Rinder und andere Tiere mit Weizen, Gerste, Mais oder Soja gemästet, um nach kurzer Lebenszeit geschlachtet und gegessen zu werden. Dieses System ist höchst ineffizient und ungerecht, denn es braucht viel mehr pflanzliche Kalorien zum Füttern der Tiere, als am Ende dabei in Form von tierischen Kalorien für den menschlichen Verzehr entstehen. Für 25 Kalorien, die ein Rind zu sich nimmt, bleibt eine Kalorie für die Person, die das Rind isst. Bei Schweinefleisch ist das Verhältnis 15:1, beim «super-effizienten» Hühnerfleisch 9:14.
In der Schweiz werden rund 55 % des Hühner- und Schweinefutters aus dem Ausland importiert, z.B. Soja aus Brasilien5. Ein Schweizer Ei hat so direkt mit der Abholzung des Regenwaldes zu tun, auch wenn es nicht so auf der Verpackung steht. Neben den ökologischen Schäden, den Klimaauswirkungen und dem Tierleid gehören auch Menschenrechtsverletzungen, Landkonflikte und gesundheitliche Schäden zu diesem zerstörerischen System. Den Preis für die billigen und subventionierten Tierprodukte in Europa, Nordamerika und China zahlen – neben den Tieren – insbesondere die Menschen im globalen Süden, deren Lebensgrundlagen dafür zerstört werden.
Eine Studie von Science zeigt deutlich auf: Selbst wenn ab sofort kein Liter Erdöl oder Erdgas und kein Stück Kohle mehr verbrannt würde, verursachten die Emissionen des gegenwärtigen Ernährungssystems eine Erderwärmung von mehr als 1,5° C und somit ein Scheitern des Pariser Klimaabkommens, zu dem sich die Schweiz verpflichtet hat6. Emissionen für Tierprodukte sind mindestens doppelt so hoch wie bei pflanzlichen Produkten7. Aber nur rund 29 % der Menschen halten die Nutztierhaltung für eine der wichtigen Ursachen der Klimakrise8.
Eine neue Ess-Kultur
Der EAT Lancet Report, von 37 weltweiten Spitzenwissenschaftler:innen erstellt, kommt auf folgendes Ergebnis: Wir können in Zukunft 10 Milliarden Menschen gesund ernähren, aber nur mit einer Umstellung unserer Essgewohnheiten, einer Verbesserung der Lebensmittelproduktion und einer massiven Reduktion von Food Waste9.
Mit einem pflanzlichen Ernährungssystem können Länder mit hohem Einkommen, welche am meisten Tierprodukte konsumieren, ihre landwirtschaftlichen Emissionen um fast zwei Drittel reduzieren. Durch die Abkehr von tierischen Lebensmitteln in den reichsten Ländern werden riesige Flächen frei, welche – in ihren natürlichen Zustand versetzt – fast 100 Milliarden Tonnen Kohlenstoff binden könnten. Das entspricht den weltweiten landwirtschaftlichen Emissionen von 14 Jahren10. Die hoch-industrialisierten Länder können und sollten hier Verantwortung übernehmen, denn sie haben die Klimakrise hauptsächlich verursacht und auf dem Weg zur Klimaneutralität gibt es eigentlich keine einfacheren Massnahmen als diese!
Ein gerechtes, nachhaltiges und pflanzliches Ernährungssystem hätte zudem auch positive Auswirkungen auf die individuelle und globale Gesundheit: weniger zoonotische Krankheiten, Pandemie-Risiken, Antibiotika-Resistenzen, etc.11 Zudem müsste keinen Menschen mehr zugemutet werden, unter menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen und Tierfabriken ausgebeutet zu werden. Und Milliarden von Tieren wäre ein Leben in Gefangenschaft, ohne Möglichkeit, ihre natürlichen Verhaltensweisen auszuleben, und eine brutale Tötung erspart.
Wir haben als Gesellschaft also sehr viel zu gewinnen an einer neuen Ess-Kultur, und – abgesehen von ein paar leicht ersetzbaren Zutaten – eigentlich nichts zu verlieren. In der Schweiz ist eine ausgewogene pflanzliche bzw. überwiegend pflanzliche Ernährung inzwischen problemlos möglich. Die entscheidende Frage ist, wie dieser Kulturwandel eine breite Gesellschaft erreichen und diese von den zahlreichen Vorteilen überzeugt werden kann.
Die Rolle der Kulturinstitutionen
Genau hier hast du als Kulturschaffende:r, und insbesondere als Kulturinstitution die Möglichkeit, eine mutige Vorreiter:innenrolle einzunehmen, welche über komfortable kleine Veränderungen, individuelle Konsumentscheidungen und Greenwashing hinausgeht. Gerade in der Gastronomie haben Kultureinrichtungen viel Handlungsspielraum mit grosser Klimawirkung. Anstatt dass wir uns als Einzelpersonen damit quälen, ob wir jedes Mal zu 100 % das Richtige einkaufen, können wir im institutionellen Kontext viel mehr bewirken. Oft genügt eine einzelne und mutige Entscheidung!
Lass uns das einmal kurz durchrechnen: Wenn du als Einzelperson ein Jahr lang konsequent vegan lebst, verbessert sich grob gerechnet die Ökobilanz von 1095 Mahlzeiten (3x365). Wenn du aber in einem Festival mitarbeitest, das während einer Woche rund 2000 Mahlzeiten serviert, erreichst du in nur sieben Tagen das Doppelte und kannst mit dieser Umstellung ein Signal nach Aussen senden. Gesellschaftliche Veränderungen finden nicht durch private Konsumentscheidungen statt, sondern durch das sinnliche, spielerische und schmackhafte Erleben von neuen Möglichkeiten, welche sich durch verschiedene Gesellschaftsbereiche verbreiten.
Das veränderte Angebot in der Gastronomie – von den Garderobensnacks bis zu den Kantinen und Theaterrestaurants – kann mit künstlerischen und diskursiven Formaten ergänzt werden. Wir schaffen Realitäten, komponieren und transformieren. Eine pflanzliche Ernährung als Standard-Angebot trägt zur Ernährungsgerechtigkeit bei und ist ein Zeichen von Solidarität mit Menschen und Tieren im globalen Süden und den kommenden Generationen. Pflanzliches Essen ermöglicht das Zusammenkommen verschiedener sozialer Gruppen. Menschen, welche aus religiösen oder ethischen Gründen z.B. kein Schweinefleisch oder aufgrund von Intoleranzen keine Laktose konsumieren (75 % der erwachsenen Weltbevölkerung!), können mitessen. Gerade für Institutionen mit internationalem Programm und Gastkünstler:innen aus Regionen, die am Brutalsten von der Klimakrise getroffen werden, ist ein pflanzliches Verpflegungsangebot so auch ein wichtiges Statement für Klimagerechtigkeit.
Viele Schweizer Theater und Festivals befinden sich bereits auf diesem Weg und haben ihr Gastronomie-Angebot schrittweise oder per sofort umgestellt. Andere realisieren zwar ein Nachhaltigkeits-Konzept, schrecken aber aus Ängsten vor negativen Reaktionen des Publikums oder der eigenen Angestellten davor zurück, die Nachhaltigkeitsprinzipien auch im Gastro-Bereich konsequent anzuwenden.
Die Initiative «Tasty Future» begleitet diejenigen, die bei der Neu-Orientierung Unterstützung brauchen, bei der Umsetzung und versucht, diese Prozesse zu beschleunigen, um möglichst keine weitere Zeit zu verlieren. In Gesprächen mit den künstlerischen und betrieblichen Leitungen, den Vorständen und den Gastronomie-Betreiber:innen erstellen wir Konzepte und Zeitpläne, welche für die jeweilige Institution Sinn machen. Dabei entsteht eine wachsende Community von Theatern, Festivals und Plattformen, welche sich gemeinsam auf den Weg machen in eine zukunftsfrohe Esskultur.
Wenn ökologische und soziale Nachhaltigkeit für die Veranstalter:innen in der Kulturszene mehr als ein Lippenbekenntnis sein soll, muss eine Neu-Ausrichtung des Gastronomie- und Verpflegungsangebots dazugehören – so pflanzlich wie möglich und mit entsprechendem Food Waste-Konzept.
Konkrete Tipps
Die Umstellung auf ein pflanzliches Angebot muss nicht sofort in einem Schritt erfolgen, sondern ist ein Prozess, der im vernetzten Austausch mit anderen Institutionen und durch gemeinsames Lernen geschehen kann.
Hier einige Optionen und Szenarien für konkrete Veränderungen:
Du und dein Team stellt das Gastro-Angebot direkt auf pflanzlich um.
Mit oder ohne diesbezüglicher Kommunikation nach aussen.
Schrittweise Anpassung des Menüs auf vegetarisch/vegan.
Default Veg: Du setzt die pflanzlichen Speisen und Getränke jeweils zuoberst auf die Karte. Tierprodukte müssen aktiv als Option dazu bestellt werden, oder sind im Menü ganz unten. So veränderst du, was bei den Gästen als «normale Mahlzeit» angesehen wird und hast Einfluss auf das Konsumverhalten, ohne die Wahlmöglichkeiten einzuschränken12.
Signifikante Reduktion von Tierprodukten z.B. mit dem Schema Fünf-Zwei
(5 Tage ohne Fleisch – 2 Tage mit Fleisch).Fokus Food Waste: Wieviel kg Food Waste entsteht pro Tag im Betrieb? Wie kann die Verschwendung von Lebensmitteln am Haus vermindert werden (Lagerung, Haltbarkeiten, Portionen-Grössen, Weiterverwendung, etc.)? Gibt es mögliche Kooperationen mit lokalen Initiativen13?
Wenn Veränderungen im Normalbetrieb aktuell nicht möglich sind, kannst du bei Sonderveranstaltungen (Premierenfeiern, Saison-Abschlussparty, Vermietungen, etc.) veganes Catering als neuen Standard einführen.
Die kulinarische Neu-Orientierung findet als ko-kreativer, künstlerischer Prozess Eingang in den Spielplan und aktiviert so das gesamte Team im Haus, wie auch beteiligte Künstler:innen und das Publikum.
Du siehst: mit der Transition der Ess-Kultur kannst du heute anfangen! Was ist heute dein Beitrag in diese Richtung? Womit fängst du an?
Referenzen:
1 IAE - Greenhouse gas emissions by sector, 2019
2 FAO - Livestock’s long shadow, environmental issues and options, 2006
3 Our World in Data - How much of the world’s land would we need in order to feed the global population with the average diet of a given country?, 2017
4 Yale, Center for Business and the Envrionment - Disrupting Meat, 2016
5 Greenpeace - Der Futtermittelschwindel, 2021
6 Science - Food and farming could stymie climate efforts, researchers say, 2020
7 Nature Food - Global greenhouse gas emissions from animal-based foods are twice those of plant-based foods, 2021
8 Chatham House - Changing Climate, Changing Diets: Pathways to Lower Meat Consumption, 2015
9 EAT Lancet Commission - Healthy Diets From Sustainable Food Systems, 2019
10 Nature Food - Dietary change in high-income nations alone can lead to substantial double climate dividend, 2022
11 ICRAD - Why ICRAD?
12 Defaultveg Website
13 Foodwaste - Lokale Initiativen